Führungskräfte-Nachwuchs - Gehen dem Staat die Ingenieure aus?
von Dr. Petra Krings, Consulting Group Berlin
16. September 2016
Auf den Punkt gebracht:
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Ob Straßenbau, Luftfahrt, Eisenbahn, Wasserstraßen, Städteplanung, Umweltschutz oder Raumordnung - ohne Ingenieurinnen und Ingenieuren kann der Staat die Infrastruktur im Land nicht steuern. Als Arbeitgeber wird der Staat für angehende Ingenieurinnen und Ingenieure aber immer unattraktiver. Das ist das Ergebnis zweier aktueller Studien1,2. Was kann der Arbeitgeber öffentlicher Dienst tun?
Ingenieure gehen lieber in die Industrie
Für seine Studentenstudie 20161 hat EY 3500 Studierende in 27 Universitätsstädten befragt, die größte Gruppe davon Studierende von Ingenieurswissenschaften und IT (23 %).
Der öffentliche Dienst hat sich dabei als attraktivste Branche (32 %) erwiesen - aber nicht für Ingenieurinnen und Ingenieure. Hier hat er es nicht einmal unter die Top Five geschafft (Rang 5: Wissenschaft mit 7 %).
Die attraktivste Branche für Ingenieurinnen und Ingenieure ist die Automobilindustrie (58 %), gefolgt von IT/Software (35 %) und Maschinenbau (20 %).
Bestätigt wird dieses Bild durch die Universum Talent Survey 20162, an der in Deutschland 45.000 Studierende teilgenommen haben, darunter 9400 Studierende der Ingenieurswissenschaften. Unter die 100 attraktivsten Arbeitsgeber bei den Ingenieurwissenschaften kamen nur zwei aus dem öffentlichen Dienst (ohne Wissenschaft): Die Bundeswehr (Rang 19) und das Europäische Patentamt (Rang 69).
Auch Top-Studierende wollen immer seltener zum Staat
Auch bei den Top-Studierenden aller Fachrichtungen sieht es schlecht aus für den öffentlichen Dienst. Der Staat hat nach der EY-Studentenstudie den mit Abstand größten Attraktivitätsverlust aller Branchen erlitten: Er ist nur noch für 22 % attraktiv (2014: 32 %). Den größten Attraktivitäts-Zuwachs verzeichnen Autoindustrie und Wissenschaft (+ 8 % bzw. + 9 % auf 30 % bzw. 27 %).
Womit kann der öffentliche Dienst punkten?
Womit kann der öffentliche Dienst also bei Ingenieurinnen und Ingenieuren punkten? Mit den Gehältern jedenfalls nicht; 10.000 Euro mehr Gehalt erwarten die Einsteiger bei der Industrie. Das Gehalt hat aber als Jobfaktor wesentlich an Bedeutung verloren:
Die Top Five der Jobfaktoren
In den Top Five der Jobkriterien hat es seit 2014 erhebliche Umschichtungen gegeben:
1. → Jobsicherheit. Sie steht für die Mehrheit der Männer und Frauen nach wie vor an oberster Stelle (63 %; 2014: 61 %).
2. ↑ Aufstiegschancen. Sie sind wesentlich wichtiger geworden (52 %; 2014: 34 %).
3. ↑ Flache Hierarchien/Kollegialität. Auch sie sind wesentlich wichtiger geworden (42 %; 2014: 22 %).
4. ↓ Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der Faktor ist wesentlich unwichtiger geworden (38 %; 2014: 57 %). Er ist noch für knapp die Hälfte der Frauen wichtig (49 %; 2014: 65 %). Für Männer hat er dagegen überhaupt keine Top-Priorität.
5. ↓ Gehalt/Möglichkeit von Gehaltssteigerungen. Die Bedeutung hat seit 2014 stark abgenommen (37 %; 2014: 59 %).
Jobsicherheit, Familienfreundlichkeit und Work-Life-Balance gibt es nicht nur im öffentlichen Dienst
Jobsicherheit, und Vereinbarkeit von Familie und Beruf - hier hat der Arbeitgeber öffentlicher Dienst lange seine Pluspunkte gesehen. Jobsicherheit ist auch für Ingenieursabsolventen wichtig, wie die EY-Studie ergeben hat (62 %). Sicher sind allerdings auch die Jobs in der favorisierten Automobilindustrie, und das bei einem erheblich höherem Gehalt.
Das gilt auch für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Hier macht die Industrie ebenfalls gute Angebote, was gerade für die Automobilunternehmen mit ihrer Größe und Finanzstärke kein Problem ist.
Auch die Work/Life-Balance lässt sich nicht nur beim Staat verwirklichen. Work/Life-Balance ist für 56 % der von Universum befragten 45.000 Studierenden aller Fachrichtungen das wichtigste Karriereziel (noch vor der Jobsicherheit). Bei den großen Autobauern ist Work/Life-Balance aber meist ebenso (viel oder wenig) möglich wie im öffentlichen Dienst.
Gefragt: Aufstiegschancen und flache Hierarchien
Bleiben die Aufsteiger 2016 unter den Jobfaktoren: Aufstiegschancen und flache Hierarchien/Kollegialität. Hier sieht es in der Realität vieler Berufseinsteiger düster aus. Hochqualifiziert und "hungrig" auf Herausforderungen, gehen sie hochmotiviert in den Job. "To be competitively or intellectually challenged" ist für 40 % der von Universum befragten Studierenden eines von drei Hauptzielen ihrer Karriere, 36 % wollen Führungskraft werden. In der Realität müssen viele allerdings feststellen, dass sie sich erst einmal "hochdienen" sollen, bevor sie Verantwortung und Gestaltungsmöglichkeiten bekommen.
Das gilt allerdings keinesfalls nur für den öffentlichen Dienst, mit seinen Dienstwegen, Tarifsystemen und beamtenrechtlichen Strukturen. Auch in großen Industrieunternehmen, zumal in der eher traditionellen Automobilbranche, gibt es Hierarchie, Berichtswege, Spezialisierung und Aufgabenteilung. Bereits jetzt geht deshalb so mancher junge Ingenieur lieber in ein kleines Unternehmen oder zu einem Start-up. Dort verdient er zwar weniger, aber dafür kann er noch "etwas bewegen".
"Etwas bewegen können" - wie kann der öffentliche Dienst jungen Ingenieurinnen und Ingenieuren da mehr bieten als bisher? Könnten zum Beispiel ganze Projekte interdisziplinären Teams übertragen werden, mit einer erfahrenen Führungskraft an der Seite als Coach? Oder würde mehr Verantwortung in jungen Berufsjahren die Grenzen der Strukturen des öffentlichen Dienstes sprengen? Hier bleiben Ideen gefragt.
Was im Arbeitsalltag zählt:
Führungsstil, Weiterbildung, Coaching und Feedback
Es gibt aber auch jenseits von Gehalt und Verantwortung Faktoren, die die öffentlichen Arbeitgeber stärker nutzen können. Wenn eine Stelle einmal angetreten ist, spielen vor allem die Qualität der Zusammenarbeit und Möglichkeiten zur individuellen Weiterentwicklung eine große Rolle. Im Alltag zählen für die Einsteiger nach der EY-Studie vor allem:
- guter Führungsstil (78 %)
- die Möglichkeit zur Weiterbildung (75 %)
- Coaching (63 %)
- eine ausgeprägte Feedback-Kultur (55 %).
Hier liegen Chancen auch für den öffentlichen Dienst. Der Vorteil solcher Maßnahmen ist: Jeder öffentliche Arbeitgeber kann sie individuell und stufenlos skalieren, je nach Arbeitsstelle, Bedarf und zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten.
Tipp für's Rekrutieren: Mit Führungskultur und Unterstützung werben - aber richtig
Vorzüge wie einen guten Führungsstil, Weiterbildungsmöglichkeiten, ein Coaching-Angebot oder eine Feedback-Kultur sollten Sie schon in der Stellenausschreibung herausstreichen. Aber: Es muss auch etwas dahinterstecken. Gute Bewerber - und das sind ja die, die Sie wollen - merken spätestens im Bewerbungsverfahren, wenn sie mit Wörtern wie "Führungsstil", "Feedback-Kultur" oder "Weiterbildung" nur angelockt werden sollten. Deshalb:
Werden Sie konkret.
Seien Sie in Ihren Stellenausschreibungen und Bewerbungsgesprächen spezifisch: An welchen konkreten Maßnahmen zeigt sich Ihre "Feedback-Kultur"? Was tun Sie, um gezielt an einem "guten Führungsstil" zu arbeiten? Sie müssen in einer Stellenausschreibung noch keine Details nennen. Aber seien Sie so spezifisch, dass Ihre Bewerber erkennen, dass Sie es ernst meinen.
Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen.
Und natürlich müssen Sie Ihr Versprechen im Arbeitsalltag dann auch einlösen. Wenn ein "Weiterbildung ist uns wichtig." sich darin erschöpft, dass sich die Nachwuchs-Führungskraft einmal im Jahr aus den gesammelten Programmen von Anbietern irgendetwas heraussuchen kann, ist das zwar mehr als nichts. Aber so wird kein Arbeitgeber handeln, der seine Mitarbeiter wirklich gezielt weiterentwickeln will. Deshalb ist auch hier oberstes Gebot: Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen. So gewinnen Sie neue Führungskräfte nämlich nicht nur, Sie halten Sie auch.
1 EY (2016), EY-Studentenstudie 2016, http://www.ey.com/Publication/vwLUAssets/EY-studentenstudie-2016-werte-ziele-perspektiven/$FILE/EY-studentenstudie-2016-werte-ziele-perspektiven.pdf (Stand 12.09.2016)
2 UNIVERSUM (2016), Germany's Most Attractive Employers 2016 - Engineering Student 2016; online zu beziehen unter http://universumglobal.com/rankings/germany/student/2016/engineering/ (Stand 12.09.2016)
Ihre Ansprechpartnerin:
Dr. Petra Krings
krings@consulting-group-berlin.de
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