von Dr. Petra Krings, Consulting Group Berlin
Change Management soll nicht selten dafür sorgen, dass der Prozess "glatt über die Bühne" geht: Schnell, ohne zusätzliche Kosten, mit dem optimalen Ergebnis in der Sache, und natürlich sollen "die Beteiligten mitgenommen" werden. Die eierlegende Wollmilchsau gibt es aber auch im Change Management nicht. Wie wichtig es ist, umsichtig Prioritäten zu setzen, musste kürzlich Wolfgang Büchner bei seinem Versuch, beim Spiegel die Redaktionen von Spiegel und Spiegel Online zusammenzuführen, erfahren.
Wolfgang Büchner - ein Anpacker kommt zum Spiegel
Im Herbst 2013 tritt Wolfgang Büchner als erster Chefredakteur, der zugleich Spiegel und Spiegel Online leiten sollte, sein Amt an. Sein Auftrag: Den Spiegel im Zeitalter der Digitalisierung und angesichts massiv sinkender Auflagenzahlen zukunftsfähig machen. Ein wesentlicher Punkt dabei: Die Redaktionen von Print und Online stärker verzahnen. Büchner scheint prädestiniert dafür: Als bisheriger Chefredakteur von dpa hatte er in vier Jahren einschneidende und wirtschaftlich erfolgreiche Veränderungen durchgesetzt, etwa 300 zuvor über ganz Deutschland verstreute Mitarbeiter im Berliner Newsroom zusammengeführt, Redaktionsstrukturen und die Preispolitik geändert. Zudem ist er kein Unbekannter beim Spiegel-Verlag, hatte er doch vor seiner dpa-Zeit bereits bei Spiegel Online als Redakteur und als Chefredakteur gearbeitet. Und so bestand Hoffnung, dass in einem zweiten Anlauf gelingt, worüber sich Büchners Vorgänger Matthias Müller von Blumencron und Georg Mascolo als Doppelspitze schon untereinander nicht einigen konnten.
Büchner legt los
Er hat klare eigene Vorstellungen, und die will er konsequent umsetzen:
- Noch vor dem eigenen Amtsantritt will er einen neuen Stellvertreter einsetzen; zudem handelt es sich mit Nikolaus Blome ausgerechnet um einen ehemaligen BILD -Chefredakteur.
- Das Konzept für die Neuordnung - Spiegel 3.0 - , das er mit Unterstützung von Geschäftsführer Saffe im Sommer 2014 vorlegt, will er zwar mit den Beteiligten besprechen, aber vor allem: zügig umsetzen.
- Kernpunkte von Spiegel 3.0 sind: Die jeweiligen Ressortleitungen sind in einer Doppelspitze erstmals für den Print - und den Online-Bereich verantwortlich, und alle Ressortleitungen sollen in diesem Zuge auch gleich neu ausgeschrieben werden.
Die Preise werden fällig
Die Preise für so einschneidende Veränderungen bei vergleichsweise hohem Tempo und wenig Einbindung der Betroffenen werden schnell fällig: Im August 2014 verlangen die Print-Ressortleitungen vom obersten Souverän des Verlages, der Gesellschafterversammlung, Büchner abzuberufen. Und 80 % der 250 Mitglieder der Printredaktion fordern in einer Petition, mit der Umsetzung von Spiegel 3.0 noch zu warten.
Die Macht geht verloren
In der Gesellschafterversammlung verliert Büchner dann den Rückhalt: Laut deren Gemeinsamer Erklärung findet sein Konzept zwar "die Unterstützung aller Gesellschafter", also vor allem auch der (Print-)Mitarbeiter-KG als Mehrheitsgesellschafterin. Aber: "Die Gesellschafter nehmen die Sorgen ernst, die aus Redaktion und Dokumentation des SPIEGEL in den vergangenen Tagen geäußert wurden. Die Gesellschafter begrüßen es, dass die Chefredaktion und die Geschäftsführung das Projekt "SPIEGEL 3.0" in enger Zusammenarbeit mit den Redaktionen von SPIEGEL und SPIEGEL ONLINE verwirklichen wollen, sowohl was die Umsetzung als auch was den Zeitablauf angeht." Übersetzt: Die Gesellschafterversammlung macht ihre weitere Unterstützung von der Akzeptanz beider Redaktionen abhängig.
Wolfgang Büchner hat damit nicht nur das Mandat für sein Tempo und seine Beteiligungsstrategie, sondern damit auch für einen wesentlichen Teil seines Konzeptes verloren. Da ist es nur eine Frage von kurzer Zeit, dass er gehen muss. Anfang Dezember 2014 ist es dann soweit: der Vertrag mit Büchner soll zum Ende des Jahres aufgelöst werden.
Fazit: Prozessziele sind Eckpfeiler im Veränderungsprozess
Die Geschichte zeigt - neben vielen anderen Facetten, die ebenfalls eine Change Management-Betrachtung lohnen würden -, wie stark Prozessziele wie "Akzeptanz" oder "Zeit" einen Veränderungsprozess beeinflussen. Umso wichtiger ist es, sich systematisch auch über diese Ziele Klarheit zu verschaffen. Hier ein paar Tipps dazu:
1. Man kann nicht alles haben. Setzen Sie Prioritäten.
Welches Ziel soll Vorrang haben:
- das Zeitziel = kurze Dauer des Prozesses
- das Akzeptanzziel = hohe Zustimmung von Betroffenen und Beteiligten
- das Kostenziel = niedrige Kosten des Prozesses (Geld, Personal, Material etc.)
- das Qualitätsziel = hohe fachliche Qualität der Ergebnisse.
2. Prioritäten haben "Preise".
Welche wollen Sie zahlen? Die typischen Preise sind:
- Priorität Zeit: Abstriche bei Akzeptanz und Qualität
- Priorität Akzeptanz: Abstriche bei Zeit und Kosten
- Priorität Kosten: Abstriche bei Akzeptanz und Qualität
- Priorität Qualität: Abstriche bei Zeit und Kosten
3. Prioritäten brauchen machtvollen Rückhalt.
Die Preise für die jeweilige Priorität müssen bezahlbar sein: Findet eine Priorität nicht genug Rückhalt bei ausreichend mächtigen Beteiligten, kann in Krisen das gesamte Konzept genau an diesem fehlenden Rückhalt scheitern. Die Entscheidung über die Prioritäten gehört deshalb in den Verantwortungsbereich derjenigen Person(en), die die Gesamtverantwortung für das Vorhaben tragen. Das gilt zu Beginn des Prozesses ebenso wie in dem Fall, dass Sie im Laufe des Prozesses eine Änderung der Priorität für erforderlich halten: Absichern!
4. Erst Prioritäten klären, dann Vorgehen planen.
Die Priorität prägt die Verfahrensgestaltung und den Ressourceneinsatz. Beginnen Sie deshalb erst konkret zu planen, wenn Sie die Prioritäten geklärt und abgesichert haben.
5. Prioritäten kommunizieren.
Gleich beim Projektstart und gerade auch in Krisen den Betroffenen und Beteiligten immer wieder die Prioritäten zu benennen, erklärt, schafft damit Transparenz und legt so einen wesentlichen Grundstein für Akzeptanz.
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